Tolebrutinib effektiv bei schubfreier sekundär progredienter Multiple Sklerose

Krankheitsmodifizierende Medikamente haben bei der schubfreien sekundär progredienten Multiple Sklerose (SPMS) eine begrenzte Wirksamkeit. Der Bruton-Tyrosinkinase (BTK)-Inhibitor Tolebrutinib hemmt ZNS-residente Mikroglia und B-Zellen und damit die zentralen Akteure der Neuroinflammation. In der placebokontrollierten HERCULES-Studie hatten Erkrankte mit SPMS signifikant günstigere Verläufe, wenn sie Tolebrutinib bekamen.

HERCULES war eine industrieunterstützte Phase-3-Studie an 264 Zentren in 31 Ländern. Die Patient*innen erhielten täglich 60mg Tolebrutinib als Tablette zu einer Mahlzeit. 3- bis 5-tägige Kortikosteroide waren erlaubt. Die Teilnehmenden waren 18–60 Jahre alt. Die SPMS war nach den 2017 revidierten Mc-Donald-Kriterien bestätigt und in den letzten 24 Monaten war kein Schub aufgetreten. Die Scores auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) lagen zwischen 3 und 6,5. Die Verum- und Placebogruppe waren hinsichtlich soziodemografischer und klinischer Charakteristika gut vergleichbar. Primärer Endpunkt waren progrediente Beeinträchtigungen, die ≥6 Monate anhielten. Eine Progression bestand bei einer Zunahme des EDSS um 1 Punkt, wenn der Ausgangswert ≤5 betrug und um ≥0,5 Punkte bei einem initialen Befund >5. Sekundäre Endpunkte waren u.a. Progressionen ≥3 Monate, eine Zunahme der MRT-Läsionen, eine Verlangsamung der Gehgeschwindigkeit im 25-Foot-Walk und unerwünschte Ereignisse.

754 Erkrankte erhielten Tolebrutinib und 377 bekamen Placebo. Die Diagnose war seit durchschnittlich 7,9 und 8,4 Jahren bekannt. Der letzte Schub lag 7,4 bzw. 7,6 Jahre zurück. Die jährliche Schubrate betrug 0,033 und 0,032. 76,9% und 76,7% schlossen die Studie vollständig ab. Hauptgrund für Therapieabbrüche waren persönliche Entscheidungen der Teilnehmenden. Die Beobachtungszeit betrug median 133 Wochen. Tolebrutinib war im Vergleich mit Placebo effektiver:

  • 6 Monate anhaltende Progression 22,6% und 30,7% (HR 0,69; 95%-KI 0,55–0,88; p=0,003),
  • 2-Jahres-Rate 21,9% und 30,2%,
  • 3 Monate anhaltende Progression 27,6% und 34,2% (HR 0,76; 95%-KI 0,61–0,94; p=0,01),
  • neue oder vergrößerte MR-Läsionen 1,84 und 2,95 (RR 0,62; 95%-KI 0,43–0,90; p=0,01) und
  • reduzierte Gehgeschwindigkeit ≥3 Monate 41,1% und 49,6%.

 

Häufigste unerwünschte Ereignisse insgesamt waren COVID-19- und Harnwegsinfektionen. Respiratorische Infekte kamen im Verumarm häufiger vor. Schwere Ereignisse traten bei 15% und 10,4% (Placebo) auf. Während Tolebrutinib dominierten COVID-19-Pneumonien und Schübe der Mutiplen Sklerose. In der Placebogruppe waren Pneumonien und Urosepsis häufig. Mit Placebo starb 1 Erkrankter an einer zentralen Blutung mit Hirnödem nach einem Sturz. In der Tolebrutinib-Gruppe nahm sich 1 Person unabhängig von der Behandlung das Leben. 1 weiterer Todesfall wurde auf die Medikation mit Tolebrutinib zurückgeführt (Komplikationen nach Lebertransplantation wegen Organversagen). Erhöhungen der Leberwerte waren bei Tolebrutinib insgesamt häufiger. Das Leber-Monitoring wurde während der Studie intensiviert.

Fazit:

Verglichen mit anderen BTK-Inhibitoren weise Tolebrutinib eine Besonderheit auf: Die Blut-Hirn-Schranke wird effektiv penetriert mit inhibitorischen Konzentrationen im Liquor ≥90%. Die Studiengruppe sieht darin die Erklärung für die Effektivität bei der schubfreien SPMS. Wie sich Tolebrutinib auf die pathophysiologischen Substrate der chronischen Neuroinflammation auswirkten, sei Gegenstand von weiterführenden Studien. Um Leberschäden frühzeitig zu erkennen, empfehlen Fox et al. für die ersten 12 Wochen wöchentliche Laborkontrollen.

Quelle:

Autor Studienreferat: Dr. med. Susanne Krome, Melle